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Haarscharf der Katastrophe entgangen

Prenzlau, den 14.04.2009

(Schwedt.) Nur knapp entging das Dorf Stendell (Uckermark) einer Katastrophe. An einer Eisenbahnbrücke mitten in der Ortschaft entgleisten am Ostermontag zwei voll beladene Kesselwagen. 80 000 Liter Benzin liefen aus. Die Polizei bringt 80 Menschen in Sicherheit.

"Es hat richtig gebumst, dann sind wir rausgelaufen und haben einen verkeilten Waggon gesehen", berichtet Dieter Ladewig. Er wohnt direkt an der Eisenbahnlinie, die zum nahe gelegenen Betriebsbahnhof des PCK Schwedt führt. Gemeinsam mit weiteren Anwohnern eilt er in Jogginghose und Pullover zur Brücke über die Gleise. Obwohl es dunkel ist, sehen sie gleich die unheimlichen Umrisse eines Kesselwagens, der sich die Böschung hinaufgeschoben hat. Genau darunter plätschert es bedenklich. Ein beißender Benzingeruch liegt in der Luft. "Aus mehreren Lecks schoss jeweils ein armdicker Strahl aus dem Kessel", sagt Augenzeuge Wolfgang Gräfe.

Dann erst wird den Neugierigen die gefährliche Lage bewusst. Ein Funke genügt, um alles hier in die Luft zu jagen. Hastig verlassen die Anwohner die Brücke. "Dort stand wirklich noch jemand mit einer brennenden Zigarette in der Hand", erzählt Gräfe. Bevor die nahenden Feuerwehrleute eingreifen können, haben Nachbarn den Raucher gebannt.

Was wirklich passiert ist, weiß zu dieser Abendstunde am Ostermontag noch niemand genau. Polizisten riegeln die Straße ab. Immer mehr Feuerwehren rücken an. Doch das Benzin läuft und läuft. Im Umkreis von 300 Metern müssen alle Menschen sofort ihre Eigenheime verlassen. Aufgeregt stehen sie auf der Straße, darunter ein Rollstuhlfahrer.

Seit 50 Jahren - so lange steht die Raffinerie in Schwedt - hat es hier keinen solchen Unfall gegeben. "Wir haben gar keine Lok gesehen", wundern sich die Anwohner. Die ersten Vermutungen bestätigen sich. Beim Rangieren im Betriebsbahnhof des PCK hat sich ein kompletter Zug aus 24 Waggons selbstständig gemacht. Er rollt erst langsam, dann schneller die leicht abschüssige Strecke zum Dorf hinunter. Als die Rangierer das bemerken, greifen sie beherzt ein. 22 Wagen können sie noch einfangen. Die letzten zwei krachen jedoch mit ihrer Fracht auf einen Prellbock unterhalb der Brücke. Der fliegt auseinander. Durch die Wucht schiebt sich ein Kesselwaggon die steile Böschung hinauf und kommt wie durch ein Wunder kurz vor den Betonwänden zum Stehen - die Oberleitung der Eisenbahn gefährlich nahe.

80 000 Liter Benzin fließen über die Gleise, versickern im Boden. Doch es gibt eine Entwässerungsleitung. Darin verschwindet der Kraftstoff unbemerkt. Eckhard Gericke, früherer Bürgermeister des Dorfes, kennt hier jeden Meter. Er läuft mit Feuerwehrleuten und Technikern zu einem sogenannten Vorfluter am Ende der Leitung. Dort staut sich normalerweise das Regenwasser. Jetzt stinkt es auch hier nach Benzin. Weil sich die Stauanlage absperren lässt, können sie verhindern, dass der Kraftstoff das nahegelegene Flüsschen Welse verpestet.

Die Katastrophen-Maschinerie der Raffinerie arbeitet wie am Schnürchen. Feuerwehrmänner haben einen Schaumteppich über die Waggons geworfen. Ein Messtrupp kontrolliert den Unfallort. Die Polizei schickt Streifenwagen aus dem Barnim, die Bundespolizei rückt an. Doch das Risiko ist immer noch groß. Rund 80 Anwohner sollen deshalb die Nacht auswärts verbringen.

Brigitte Thiess betreibt am Ortseingang eine kleine Gaststätte, die an diesem Abend eigentlich nicht geöffnet hat. Sie holt die Leute ins Lokal, stellt Kartoffelsalat und Getränke auf den Tisch. "Es kamen doch welche von der Spätschicht, die hatten Hunger", sagt die Wirtin.

Im Gemeindehaus auf der anderen Seite der abgesperrten Brücke harren weitere 30 Evakuierte und ein Hund aus. Dann schickt das PCK einen kompletten Versorgungswagen nach Stendell. Kostenlos. Ein Kleintransporter bringt Anwohner, die nicht bei Verwandten unterkommen, ins Hotel nach Schwedt. Sicherheitsexperten des Unternehmens beruhigen besorgte Einwohner. Wie durch ein Wunder kommt niemand zu Schaden.

Noch in der Nacht können die ersten Menschen in ihre Häuser zurück. Doch sie dürfen das Wasser aus ihren Brunnen nicht benutzen. Keiner der Experten wagt zu sagen, wie tief das Benzin ins Erdreich vorgedrungen ist. Eine hydrogeologische Fachfirma nimmt Proben im Dorf.

"Wir können noch nichts zum Ausmaß des Umweltschadens sagen", so Vica Fajnor, Pressesprecherin der PCK-Raffinerie. Was verseucht ist, muss abgebaggert werden. Doch das Werk darf nicht still stehen. Wenn die geborstenen Waggons von der Schiene geholt sind, muss die Strecke wieder frei sein für die nächsten Kesselzüge.

 

Von Oliver Schwers


© moz, 14.04.2009

 

-weitere Informationen erhalten Sie hier und im nebenstehenden Link -


- Evakuierungen nach Unfall


- Knapp an der Katastrophe vorbei


- Die 80 000 Liter Katastrophe

 

 



 

Bild zur Meldung: Haarscharf der Katastrophe entgangen